Das "talempong batu" von Talang Anau:

Ein musikalisches Erbstück einer Megalithkultur in West-Sumatra,

Indonesien.

Feldforschungsbericht
von
Uwe Pätzold,
Köln (FN1)

talempong batu
(Photo: The talempong batu of Nagari Talang Anau, West-Sumatra)


 




Während eines Feldforschungsaufenthaltes in West-Sumatra Anfang 1995 wurde mir von einer Bekannten aus Bukittinggi eher beiläufig über ein eigenartiges Musikinstrument, talempong batu ("Stein-talempong") genannt, berichtet. Aufgrund der Beschreibung des Instruments durch diese Bekannte - Frau Yasmita, einer Lehrerin der SMA Negeri Payakumbuh - entstand für mich der Eindruck, daß dieses Instrument einen Besuch lohnen würde. Ich hatte nie zuvor über megalithische Musikinstrumente in diesem Gebiet gehört, erinnerte mich aber an das Lithophon aus Ndut Lieng Krak in Süd-Vietnam (FN 2). Ein ähnliches Instrument im Bereich Insel-Südostasiens dürfte von außerordentlichem Interesse für die Erforschung frühester Musikkulturen Indonesiens sein. Obwohl dieses Subjekt etwas außerhalb des eigentlichen Themenbereichs meiner Feldforschung lag mietete ich einen Wagen und begab mich zusammen mit Frau Yasmita und Herrn Azwardi - einem Kollegen von ihr - in das Gebiet der Nagari Talang Anau in die Berge nahe dem Ort Suliki. Meine beiden Begleiter hatten in den 80er und frühen 90er Jahren diesen Ort wiederholt bei Klassenfahrten besucht.


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(mk01)

Zum Lageort des Instruments

Die Nagari Talang Anau bildet einen Teil des Kecamatan (Subdistrikts) Perwakilan Koto Tinggi, Kabupaten (Distrikt) Limapuluah Koto in der Propinsi (Provinz) Sumatera Barat (West-Sumatra). Diese Provinz ist in ethnologischen Kreisen besser als das Land des Minangkabau-Volkes bekannt. An das an den Hängen des Bukit Batu (1158 ü.M.), einem südöstlichen Ausläufer des Gunung Mas (2271 Meter ü.M.)-Berges gelegene, sehr gebirgige und bis in die heutige Zeit schwer zugängliche Territorium der Nagari Talang Anau schließt sich östlich das Lembah Harau-Naturreservat an. Südlich davon gelangt man bald auf die Verbindungsstraße, die nordwestlich von Payakumbuh über Suliki und Koto Tinggi in Richtung auf den am Äquator gelegenen Ort Bonjol führt.

Im nordwestlichen, nördlichen und östlichen Gebiet um die Distrikthauptstadt Payakumbuh herum finden sich zahlreiche Zeugnisse megalithischer Kulturen, die insgesamt meines Wissens bislang von der westlichen Wissenschaft eher beiläufig beachtet worden sind. Zwar führte Eugene Dubois bereits 1889 (also vor seinen Grabungen 1891 bei Trinil in Ost-Java) paleontologische Untersuchungen u.a. im Gebiet der Kalksteingrotten nahe Payakumbuh durch. Doch sollte es Schnitger sein, der einige Zeit später (1938) etwas weiter nördlich am Oberlauf des Kampar Kanan-Flusses die von Dubois vermuteten Beispiele prähistorischer menschlicher Knochen fand, die er der Periode des Mittel-Pleistozän zuordnete (FN 3).

Mehr ins Blickfeld der Wissenschaft traten dagegen die etwa 60 Kilometer Luftlinie nördlich von Payakumbuh (und etwa 50 Kilometer Luftlinie nordöstlich des Gebietes der Nagari Talang Anau) ebenfalls am Kampar Kanan-Oberlauf und heute bereits auf dem Gebiet der Nachbarprovinz Riau gelegenen Ruinen von Muara Takus (in alter Schreibweise: Moeara Takoes), einem Komplex buddhistischer Tempelbauten aus dem 6.-8. und 11.-12. Jhrt. (FN 4), der als eines der spirituellen Zentren des Großreiches Srivijaya angesehen wird. Diese Tatsachen sollen uns später bei der Diskussion einer zeitlichen Autorisierung des Lithophons noch einige Anregungen geben.

Die genannte nagari - der Terminus entstammt einer alten administrativen Gebietsunterteilung die heutzutage offiziell zwar nicht mehr gebräuchlich ist aber scheinbar für die lokalen Einwohner noch einige Bedeutung hat - besteht aus drei dusun oder kleinen Dörfern: Talang Anau I., Simpang Padang und Luak Bagak. Das Lithophon befindet sich in dusun Talang Anau I., kampung (Siedlung) Balai.

Die Gesamtzahl der Einwohner dieser nagari umfaßt etwa fünftausend Seelen. Nahezu alle der erwachsenen Einwohner gehen der Landwirtschaft nach, oder, wie einer meiner Informanten anmerkte: "yang tidak menjadi petani merantau" ("wer nicht Farmer wird geht in die Fremde"). Zu den Anbauplanzen gehören Kaffee, Süßholz und teilweise Nelken; das Hauptanbauprodukt ist jedoch Reis der in terrassierten Naßfeldern angebaut wird. Aufgrund des sehr gebirgigen Terrains dieser nagari ist dies ein hartes Stück Arbeit: Die Felder sind meist klein und in zahlreiche Terrassen gegliedert und werden durch Felsformationen und Waldstücke weiterhin unterteilt. Die ziemlich hohe Lage des gesamten Gebietes (geschätzt um die 1000 Meter ü.M.) reduziert weiterhin die Anbaumöglichkeiten. Früher betrieben die Niederländer wohl eine Kalkbrennerei in der Nähe, doch heute gibt es keinerlei Industrie dieser Art mehr.

Amran (FN 5) merkt an, daß sich sowohl das Gebiet um den Fluß Batang Hari im südöstlichen Teil der heutigen Provinz West-Sumatra als auch die Gebiete um die Oberläufe der Flüsse Batang Kuantan und Kampar Kiri noch bis zum Ende letzten Jahrhunderts einen hohen Grad an Autonomie gegenüber der niederländischen Kolonialmacht bewahrt hatten. Einige Fürsten dieses von den Einheimischen dem Gebiet der rantau nan tigo jurai zugerechneten Territoriums kamen noch 1845 zu der Übereinkunft, daß den Niederländern der Zutritt zu diesem Gebiet verwehrt werden solle. Demzufolge soll es sowohl der Expedition von Veth (1877) wie auch der von Ijzerman (1895) untersagt worden sein, dieses Territorium zu durchreisen. Houston Waller, der 1905 entgegen der Ratschläge lokaler niederländischer Behörden dieses Gebiet auf seinem Weg in Richtung Jambi zu durchqueren suchte, kam dabei zu Tode. Diese Darlegungen erfahren eine partikuläre Bestätigung durch die Ausführungen Joustras (FN 6), der uns zur Chronik der fraglichen Gebiete für die Jahre 1905 und 1906 mitteilt:

"In den loop van 1905 en 1906 kwam de onderwerping tot stand van de onder suprematie van Kota Besar staande landschappen Soengai Koenit en Talao (Boven-Batang Hari). In de Koeantan-streek daarentgegen toonden sommige nagaris neiging om onze zijde weder te verlaten. Daarom werden tegen dat gebied dwangmaatregelen toegepast en er detachementen militairen naar Koeantan gedirigeerd. Den 11den October 1905 werd Taloek, na krachtigen tegenstand, door de onzen genomen. Im November daarop legden toen alle zich nog niet onderworpen hebbende Koeantansche hoofden de korte verklaring (FN 7) af."
Wenngleich das Gebiet der Nagari Talang Anau auch etwas weiter nordwestlich der rantau nan tigo jurai liegt, so ist es doch das Quellgebiet eines der Zuflüsse des Batang Kuantan und der Batang Hari befindet sich in relativ naher Entfernung. Dies rechtfertigt die Annahme, daß eine dem Gebiet der rantau nan tigo jurai ähnliche politische Situation für diese Zeit angenommen werden kann. Er gibt an anderer Stelle (FN 8) für den Oberlauf des Batang Kuantan den Namen "Si Namar" an und schreibt u.a. zu diesem Gebiet:
"Voor een groot deel - voraal het Noorden - bestaat dit waterscheidend gebergte uit onvruchtbare, zware zandsteenruggen, waartusschen de rivieren in smalle kloven, met geweldige, steile wanden stroomen, o.a. de Si Kapoer, niet heel ver van Moera Takoes."
Angemerkt sei zu diesem Zitat, daß demzufolge wohl Joustra derjenige war, der in den ersten Dekaden unseres Jahrhunderts dem Lageort des Lithophons am nächsten gekommen sein dürfte. Der genannte Fluß "Si Namar" (heutige Schreibweise "Air Sinamar") passiert den Lageort des Lithophons in nur wenigen Kilometern Enfernung. Leider geht aus seinen Darlegungen nicht hervor, ob er dieses Gebiet selbst inspiziert hat oder ob ihm die Informationen aus zweiter Hand zugetragen worden sind. Eine Sichtung eventuell noch vorhandener schriftlicher Nachlässe dieses Autors könnte aufschlußreich sein. Den Mitteilungen einiger Informanten zufolge wurde das Gebirgsgebiet um Suliki während des indonesischen Unabhängigkeitskriegs als Refugium von den indonesischen Patrioten genutzt. Die niederländischen Kolonialtruppen wagten es diesen Informationen zufolge nicht, in das sehr unübersichtliche Gelände vorzudringen. Zwar teilt Joustra (FN 9) mit, daß seit 1921 eine Bahnlinie von Payakumbuh in Richtung Suliki im Ausbau war, doch endete diese (heute nicht mehr in Betrieb befindliche) Bahnlinie ein ganzes Stück vor Suliki bei Limbanang. Später in den 60er Jahren scheint das Gebiet in die Wirren dieser Jahre hineingezogen worden zu sein. Es bleiben also für eine mögliche Erkundung des Gebietes von Talang Anau durch Europäer eigentlich nur die Zeiträume von kurz nach 1900 bis zur japanischen Besetzung Sumatras Anfang der 40er Jahre und von ca. 1970 bis heute.

All dies und die abgelegene Lage des Ortes mag erklären warum dieses kulturhistorisch überaus interessante Objekt bislang zumindest seitens der westlichen Wissenschaft noch keine Beachtung gefunden hat. Der westsumatranische Ethnomusikologe Drs. Hanefi, der an der Akademie der traditionellen Musik- und Tanzkünste (ASKI) in Padang Panjang lehrt, teilte mir mit, daß es einen kurzen Bericht über das Instrument von Boestanoel Arifin Adam, dem ersten Direktor der Akademie, aus dem Jahre 1987 gibt. Dieser Report ist bislang leider nur in der Bibliothek des ASKI-Padang Panjang einsehbar. Freundlicherweise übersandte mir Kollege Hanefi eine Kopie desselben, sodaß die Ergebnisse dieses Erstberichtes hier berücksichtigt werden können (FN 10).

Desweiteren sind der Platz und das Lithophon offensichtlich bereits einmal in das Blickfeld der Provinzregierung West-Sumatras gekommen. Im Jahre 1985 oder 1987 wurde der Ort von einem hohen Regierungsbeamten der Provinz West-Sumatra und einer Delegation u.a. des Museum Adityawarman Sumatra Barat aus der Provinzhauptstadt Padang besucht. Bei diesem offiziellen Besuch wurde das talempong batu in einen Index aufgenommen; Ziffern in weißer Farbe am Kopfende einiger Barren des Steinspiels bezeugen dies. Ebenso sollen bei diesem Anlaß einige Photographien von diesem Instrument gemacht worden sein, die dem Vernehmen nach 1993 im Rahmen einer Kulturwoche im Museum Adityawarman in Padang ausgestellt wurden. Trotz dieser lokalen Wertschätzung des Lithophons scheint es bislang keine weitere Dokumentationen zu demselben zu geben.

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Video-Sample:

The talempong batu from Talang Anau

 

Audio-Sample:

The soundblocks of the talempong batu from Talang Anau



(mk02)

Zur Beschreibung des Lithophons

Die Bezeichnung talempong batu impliziert eine Ähnlichkeit mit dem heutigen talempong-Gongspiel der Minangkabau, doch ist diese Annahme verfehlt. Das Instrument besteht aus sechs Steinbarren unterschiedlicher Größe und Stimmung und hat nicht im Entferntesten das Aussehen eines talempong-Gongspiels. Vielmehr muß der Name als eine übertragene Annäherung an das Phänomen verstanden werden; der Name gandang batu ("Stein-gandang"; gandang: eine Trommelart) wurde ebenfalls von einigen Informanten zur Bezeichnung des Instruments verwendet. Das Instrument wird ebenerdig über einer Grube gelagert (FN 11). Die Steinbarren scheinen vollzählig und ohne Beschädigungen zu sein (FN 12), der Klang derselben kann als metallisch-kristallin beschrieben werden und entbehrt durchaus nicht eines großen Reizes. Die Stimmung der einzelnen Barren verblüfft durch eine erstaunliche Genauigkeit und Systematizität (FN 13). Die Genauigkeit der Stimmarbeiten an diesem Instrument ist umso verwirrender wenn man sich klar macht, daß wir es allem Anschein nach mit einem sehr harten Mineral zu tun haben. Bedauerlicherweise bin ich kein Experte der Mineralogie, und eine Materialprobe der Steinbarren konnte unter den gegebenen Umständen nicht erbeten werden. Die seitliche Korpusfläche der Steinbarren ist von hellgrauer, die Kopfflächen von dunkelgrau-schwarzer Farbe. Die Bearbeitung der Steinbarren scheint von ähnlicher Art zu sein wie die des Instruments aus Ndut Lieng Krak: Keine stufigen Auskerbungen, sondern relativ glatte, in einem Stück ausgebrochene Splitter. Dies dürfte sowohl ein Beleg für die Härte des vorliegenden Minerals wie auch für die handwerklichen Fertigkeiten der Erschaffer dieses Lithophons sein die mit dieser archaischen Technik ein erstaunliches Resultat erzielt haben. Die Maße der einzelnen Klangbarren in ihrer heutigen Position sind wie folgt (vom nord-östlichen zum südwestlichen Ende):
Klangbarren Nr. angenäherte Abmessung in cm (L) angenäherte Abmessung in cm (B) angenäherte in cm Abmessung 
(H)
korrespondierende realisierte Tonhöhe
I. 156 40 27 Tonhöhe 1 (tiefste)
II. 100 25 15 Tonhöhe 6 (höchste)
III. 127 40  16 Tonhöhe 2
IV. 110 30 23 Tonhöhe 5
V. 122 35 20 Tonhöhe 3
VI. 99 40 24 Tonhöhe 4

Local topography of the talempong batu
(Table: The local topography of the talempong batu in Talang Anau)
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(mk03)

Lokales historisches Wissen bezüglich des Instruments und seines Lageortes: Die Legende von Syamsuddin.

Eine der ersten Fragen vor Ort war die nach expliziten (Chronologien, Genealogien, Legenden, Mythen) bzw. nach non-verbal  praktizierten, stillschweigenden Tradierungen (insbesondere im Rahmen kultischer Aktivitäten) der lokalen Bevölkerung in Bezug auf das talempong batu und seinen Lageort. Zwar wurde im Falle des ersten Aspekts - der expliziten Tradierung - ein Mythos genannt und werden weiterhin einige kultische Handlungen in Bezug auf das Instrument noch durchgeführt, doch beziehen sich diese ausschließlich auf das Lithophon selbst und machen es zu einem Objekt der Verehrung; ihm wird ein hohes Maß an kesaktian (inhärenter mythischer spiritueller Energie) zugeschrieben. Eine weitergehende überlieferte Einbeziehung in das spirituelle oder kulturelle Leben des Ortes wurde mir nicht mitgeteilt.

In Bezug auf den Fall des zweiten Aspekts - der stillschweigenden praktischen Tradierung kultureller Inhalte - muß leider von einem Fehlen derartiger Inhalte ausgegangen werden. Dennoch kann das Fehlen jeglicher stillschweigenden Tradierung praktischer Inhalte - nimmt man nicht die Verehrung des Steinspiels selbst als seine kultische Funktion an, was mir unsinnig erscheint - meines Erachtens zumindest eine obere zeitliche Grenze für die Datierung des Verlusts derartiger Inhalte liefern:

Nimmt man als weiteste Begegnungsspanne zwischen den Generationen die zwischen der Generation der Urenkel und ihrer Urgroßeltern an, so würde die maximal mögliche Dauer der Präsenz von non-verbal, stillschweigend praktiziert weitergegebenem Wissen bezüglich noch lebender oder innerhalb einer Generationsfolge ausgelöschter Praktiken, Sitten und Gebräuche den Zeitraum umfassen, in der ein Kind (A) von einem Mitglied der Generation seiner Urgroßeltern (B) eine stillschweigend praktizierte Vermittlung von Wissen aus der Generation von deren Urgroßeltern (C) erhält, d.h. über eine Zeitspanne von sieben Generationen. Setzen wir einen Angehörigen der heutigen Generation der Urgroßeltern - wie es bei meinen Informanten Pak Zainal Datuk Muncak (über 80 Jahre alt) und Pak Sabir Imam Bagindo (geboren 1918) der Fall ist - als das "Kind" (A) in diese Rechnung ein, so erweitert sich der Zeitraum einer möglichen non-verbalen, stillschweigend praktizierten Weitergabe kultureller Details um weitere drei Generationen in Richtung Gegenwart:

Erklärungen zu den Abbreviaturen:
K = Kindergeneration
E = Elterngeneration
GE = Großelterngeneration
UGE = Urgroßelterngeneration

Gegenwart           Vergangenheit      
<-     (A)     ->      
E GE UGE            
      (=)     (B)      
      K E GE UGE      
            (=)     (C)
            K E GE UGE

Kalkuliert man weiterhin etwa 20 Jahre für jede dieser insgesamt zehn Generationen ein, so ergibt sich ein Zeitraum von etwa zweihundert Jahren. Die in diesem Zeitraum lebenden drei Generationsketten (Kind-, Eltern-, Großeltern- und Urgroßelterngeneration) stehen in einem entweder primären (A mit B) oder sekundären (A mit C, praktisch vermittelt durch die persönliche Beziehung zwischen B und C) in Beziehung. Das im fraglichen Kulturraum traditionell weit verbreitete Prinzip der Übernahme kultureller Inhalte durch persönliche Vermittlung wäre innerhalb dieser primären und sekundären Abfolge der Generationen hypothetisch gewährleistet und könnte hypothetisch mithilfe einer heutigen Auskunft von (A) überprüft werden.

Das heißt aber auch, daß innerhalb dieser Generationsabfolge von zehn Generationen jede Generation von etwaigen Praktiken in Bezug auf das Lithophon und deren etwaiger Auslöschung bzw. Veränderung wissen könnte. Wenn die Generation von (A) - meine Informanten - daher keinerlei stillschweigend praktiziertes Wissen in Bezug auf den ursprünglichen kulturellen Kontext des Lithophons mehr hat, so kann die Hypothese formuliert werden, daß sie nichts von der ältesten Generation, mit der sie zu Lebzeiten zusammengetroffen ist - das ist (B) - in Bezug auf derartige Inhalte hin vermittelt bekommen hat. Das heißt weiterhin, daß sehr wahrscheinlich auch (B) nichts in Bezug auf derartige Inhalte hin von (C) vermittelt bekommen hat - es sei denn, in einer dieser Generationsketten sei bewußt von der praktischen Weitergabe relevanter Inhalte abgesehen worden, etwa in Form von Geheimhaltung. In Bezug auf die Generationskette von (B) könnte (A) hiervon wissen, die Generationskette von (C) dagegen liegt bereits außerhalb seiner direkten Erfahrungsmöglichkeit. Das heißt konkret, daß mindestens seit der Zeit der Generation (B) keinerlei stillschweigend praktiziertes Wissen in Bezug auf den kulturellen Kontext des Lithophons mehr vorhanden ist und für die Generationskette bis (C) hin ähnliches angenommen werden kann. Ein unabsichtliches "vergessen werden" derartiger Inhalte erscheint aufgrund der Seltenheit des Objekts unwahrscheinlich. Demzufolge hat zumindest etwa seit 140 Jahren gewiß und etwa seit 200 Jahren wahrscheinlich keine stillschweigend praktizierte Vermittlung relevanter Inhalte mehr stattgefunden - vorausgesetzt die Informanten erzählten mir was sie wußten.

Nach der Darstellung der beiden alten Herren hat sich bis heute nichts an der Lage des talempong batu geändert mit Ausnahme einiger baulicher Sicherungen des Lageplatzes und der Errichtung eines kleinen Pavillons um das Instrument herum in den frühen 60er Jahren unseres Jahrhunderts während der Amtszeit von Pak Sabir als wali jorong (etwa: Dorfoberhaupt). Entgegen dieser Darstellung muß jedoch angemerkt werden, daß zumindest um das Steinspiel herum einige Veränderungen des Lageplatzes vorgenommen worden sind, insbesondere die Ansammlung weiterer megalithischer Objekte unmittelbar außen um den Pavillon herum. Diese Objekte wurden teilweise aus dem Areal des Dorfes auf diesem Platz zusammengetragen - wohl während der Errichtung des Pavillons - und ergänzten dort weitere, bereits vorhandene Megalithen (FN 14).

Die orale Tradierung bezüglich des Instrumentes erscheint heute in Gestalt eines Mythos; es ist die Rede von einem mythischen Vorfahren der Leute von Talang Anau mit Namen Syamsuddin,Tuanku Nan Ilang (Syamsuddin, der verlorengegangene Herr/Edle) der das Instrument gestiftet haben soll. Auch dieser "verlorengegangenen Exzellenz Syamsuddin" werden seitens der lokalen Einwohnerschaft nicht näher definierte kesaktian-Eigenschaften zugesprochen. Ein Vierzeiler, der den heutigen Alten von Talang Anau von ihren Vorfahren mit auf den Weg gegeben worden ist, dokumentiert den Fakt, daß auch diese Vorfahren bereits auf einen Mythos zur Erklärung der Präsenz des Lithophons zurückgriffen:

Syamsuddin 
mati indak tantu Kubua 
hilang indak tantu rimbo 
(h)anyuak indak tantu muaro
Syamsuddin 
verstarb ohne daß sein Grab bekannt ist 
ging verloren ohne daß der Urwald bekannt ist 
trieb davon (zum Meer) ohne daß die (Fluß-) Mündung bekannt ist.

Will heißen, daß buchstäblich nichts über den Verbleib dieser Person bekannt ist. Dennoch lassen sich anhand des Namens einige Überlegungen bezüglich dieser Person anstellen. Die Anrede tuanku tritt als Titel oftmals in Verbindung mit den frühen islamischen Lehrern auf die ins Gebiet der Minangkabau gelangten (FN 15). Sie kamen oftmals aus dem Gebiet des Sultanats von Aceh im Norden Sumatras, und dort finden wir einen ganz ähnlichen Titel te(u)nku oder: te(u)ngku für diese Art von Glaubenslehrern. Desweiteren wurde die Anrede insbesondere für die islamischen Führer der Padri häufig verwendet. Allerdings galt der Terminus tuanku ebenso als ehrenvolle Anrede für Minangkabau-Könige und -Stammesfürsten. Daher gibt uns lediglich die Kombination dieses Ehrentitels mit einem arabisch-islamischen Rufnamen einen schwachen Hinweis auf einen islamischen Gelehrten oder ähnliches. Immerhin erscheint die Möglichkeit, daß es sich um eine reale historische Persönlichkeit handelt nicht ganz abwegig (FN 16).

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(mk04)

Versuch einer Einordnung des Lithophons von Talang Anau in einen größeren Zusammenhang der kulturellen Entwicklung West-Sumatras.

Was wir weiterhin annehmen können in Bezug auf diese Person: Der Schöpfer des Lithophons war er sicher nicht, das paßt keineswegs zu einem tuanku mit arabisch-islamischem Namen. Aber möglicherweise verbindet sich mit ihm ein Wandel des Verhaltens der lokalen Einwohnerschaft in Bezug auf das Steinspiel. Nimmt man einmal die Lebzeit der am weitesten zurückliegenden der oben genannten Generationen (C) in Augenschein, so gelangen wir in die Zeit um 1800. Dies ist die Regierungszeit des Sultan Sri Maharaja Diraja von Pagarruyung (FN 17). Die niederländische Kolonialmacht übergab zu dieser Zeit die Besitzungen in Indonesien aufgrund der Situation in Europa (Napoleonischen Kriege) für etwas über zwei Jahrzehnte in die Treuhand der Engländer; Sir Thomas Stamford Raffles sollte bald an Sumatras Westküste erscheinen. Obwohl der Islam bereits seit etwa dem 16. Jhrt. Einzug im Land der Minangkabau gehalten hatte, so fällt doch in die Zeit kurz vor dem Beginn der Padri-Kriege (1803-1837) eine intensive Tätigkeit der islamischen tuanku in West-Sumatra. Es kann daher vermutet werden, daß dieser Syamsuddin - vorausgesetzt es handelt sich denn tatsächlich um eine historische Figur - als ein islamischer Missionar in der Nagari Talang Anau tätig war. Und als ein solcher dürfte er eher daran interessiert gewesen sein, einen mit dem Kontext des talempong batu verbundenen, etwa zu dieser Zeit noch lebendigen vor-islamischen Kult zu eliminieren.

Darüber hinaus muß beachtet werden, daß die Nagari Talang Anau recht nahe (ca. 30km Luftlinie) zum Gebiet von Bonjol - eine der Hochburgen der islamischen Streiter während der Zeit der Padri-Kriege - gelegen ist. Die Auseinandersetzungen zwischen den Traditionalisten und islamischen Erneuerern wurden während dieses Krieges mit außerordentlicher Härte geführt. Es kann daher angenommen werden, daß spätestens in dieser Zeit etwaige noch praktizierte vor-islamische Kulthandlungen aus Sicherheitsgründen von der lokalen Bevölkerung der Geheimhaltung unterworfen und später in Vergessenheit gerieten oder bewußt abgelegt wurden. Für die explizite orale oder schriftliche Tradierung relevanter Inhalte kann ähnliches angenommen werden.

Ich möchte dem Leser weiterhin ein Zitat Schnitgers (FN 18) bezüglich der Mythologie der unweit gelegenen Ruinen von Muara Takus nicht vorenthalten. Er schreibt:

"The temples of Moeara Takoes are probably the graves of royal personages. Malays say that the Hindoo ruler was transformed into an elephant, and for this reason great herds of elephants regularly visit the ruins to do homage to the spirit of their departed anchestor. Close to the temples is a shallow ford, which the animals cross whenever they descend from Mount Soeligi to the plains. It is remarkable that since time immemorial the stupa court has been their favourite playground, where they walk about and disport themselves all night long by the light of the moon. During the excavations of April, 1935, we were able to verify this strange phenomenon from personal experience. When one considers the antiquity of animal trails in the jungle and the elephants extreme conservatism it seems likely that even centuries ago the animals betook themselves to Moera Takoes, and for this reason the place had an odour of sanctity. The Malays must have considered it a socalled elephants dancing ground, such as are still known in India. This may also be reason why the Hindoos built their temples on this particular spot. As long as the city lay here the elephants naturally stayed away, but after its destruction the jungle reclaimed her rights and the Lords of the Wood retrod their ancient path."
Mit dem in diesem exquisiten Bericht genannten "Mount Soeligi" ist nichts anderes gemeint als die Gebirgsregion nordöstlich von Payakumbuh - das Gebiet des heutigen Unterdistrikts von Suliki, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft sich die Nagari Talang Anau befindet ! Wenn auch Schnitger an anderer Stelle (S.48) in einem thematischen Exkurs selbst anmerkt, daß derartige Geschichten einen an Kiplings "Jungle Book" erinnern mögen, so mag das folgende andeuten, wie nahe Mythos und mögliche Realität im genannten Kulturraum beieinander liegen können. Über den Untergang von Muara Takus liefert Schnitger eine Legende (FN 19), in der eine Armee der nordsumateranischen Batak den Ort Muara Takus und seine Königin Poetri Sri Doenia - einen Sproß des Minangkabau-Urgeschlechts der Fürsten von Pariangan Padang Panjang - hart bedrängt und schließlich einnimmt, aber:
"When the Bataks arrived at Moeara Takus they found the entire city deserted. Poetri Sri Doenia with her followers had fled into the forest and married a datoe from Menangkabau. She bore a son, whom she called Indo Doenia and to this day there is a place in Moera Takoes called Galangan Indo Doenia. This youth later became lord of Moera Takoes and was succeeded by Radja Pamoentjak (Datoe di Balai), known in history during the period when the country was converted to Islam."
Bedauerlicherweise kamen mir diese Zeilen erst nach meiner Rückkehr aus Indonesien zur Kenntnis, sonst hätten sich sicherlich noch einige Fragen bezüglich der Lineage-Genealogie eines meiner Informanten ergeben. Denn den aufmerksamen Leser dürfte die Analogie zwischen obigem "Radja Pamoentjak (Datoe di Balai)" und meinem Gewährsmann Pak Zainal Datuk Muncak aus dem kampung Balai nicht entgangen sein. Die Lineage-Genealogien der Minangkabau können in mythischer Form gewaltige Zeiträume umfassen - weit mehr als die oben hypothetisierten zehn Generationen in Bezug auf die stillschweigend praktizierte Vermittlung von kulturellen Inhalten. Lineage-Ehrentitel von datoe-s (FN 20) werden innerhalb einer suku oder Lineage von Generation zu Generation unter relativ stabiler Beibehaltung des genauen Wortlautes hereditär weitergegeben (FN 21). Ließt man den von Schnitger zitierten "Radja Pamoentjak (Datoe di Balai)" in modernem Sprachgebrauch als "Raja Pa(k) Muncak, Datuk di Balai" ("König/Fürst Vater/Herr Muncak, datuk von Balai"), so liegt die Frage nahe, ob es sich bei meinem Gewährsmann nicht vielleicht um einen späten hereditären Amtsnachfolger dieses mythischen (?) Fürsten handeln könnte. Zudem bekleidete Pak Zainal Datuk Muncak von 1946-1952 das hohe Amt des wali nagari (FN 22) von Talang Anau.

Und sollte es sich beim heutigen kampung Balai vielleicht um den Herkunftsort des mythischen radja handeln ? Was dann auch ein etwas anderes Licht auf die Präsenz zahlreicher extraordinärer Megalithen in diesem Ort werfen könnte (FN 23). Schließlich soll dieser radja eine besondere Rolle bei der Islamisierung des Gebietes (von Muara Takus ?) gespielt haben. Womit wir an die Figur des Syamsuddin, Tuanku Nan Ilang erinnert werden.


Verweilen wir noch eine Weile bei den Ruinen von Muara Takus und dem Gebiet des Kampar Kanan-Oberlaufes. Navis (FN 24) merkt an, daß die wahrscheinlichen Gründer dieses Tempels buddhistische Mönche und Priester aus Indien waren, die den Namen ihres Herkunftslandes in der Ortsnomenklatur der Region hinterlassen haben: Mahat. Insbesondere bezieht er sich auf einen der Zuflüsse des Kampar Kanan namens Batang Mahat sowie auf einen nahebei gelegenen Ort namens Kampung Mahat ("Siedlung der Mahat"). Navis bezieht seine Ausführungen insbesondere auf Nooteboom (FN 25). Dies soll uns besonders aus dem Grunde interessieren, weil in rezenter Zeit seit dem Beginn der 70er Jahre bei Sankarjang im Staate Orissa in Ostindien etliche Klangsteine entdeckt und auch durchgemessen wurden (FN 26). Es wäre immerhin denkbar, eine Beziehung zwischen dem Lithophon von Talang Anau und der Anwesenheit einer indischen Bevölkerungsgruppe am Oberlauf des Kampar Kanan-Flusses zu konstruieren. Wenn wir jedoch die bislang zugänglichen Daten über Lithophone im asiatischen Raum vergleichen, so scheint es begründeter das Lithophon von Talang Anau aufgrund seiner äußeren Charakteristika eher dem vietnamesischen Typus aus Ndut Lieng Krak denn dem ostindischen Typus aus Sankarjang zuzuordnen.

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(mk05)

Die kesaktian des talempong batu: Gesundheitsbringer für "Gläubige", Todesbringer für "Ungläubige".

Wie bereits weiter oben angemerkt erfährt das Lithophon heute selbst einen hohen Grad an Verehrung durch die lokale Bevölkerung; man könnte auch sagen: Aus dem Objekt als Medium wurde ein Objekt als Ziel. Insbesondere dem größten der Klangbarren des Ensembles wird ein hoher Grad an kesaktian zugesprochen. Dieser Klangbarren hat in der Vorstellung der Einheimischen ein Kopf- und Fußende - in der Tat ist diese Vorstellung mit etwas Phantasie nachvollziehbar. Über die kesaktian-Eigenschaften des Klangbarrens berichtete man mir, daß diese zum einen heilende Eigenschaften umfassen. In Fällen ernster Erkrankungen können die Angehörigen der erkrankten Person die kesaktian dieses Objekts anrufen. Teil dieser Evokation ist eine Zeremonie bei der Wasser über den Fuß des größten Klangbarrens geschüttet wird. Dieses Wasser wird in einem Behältnis unterhalb des Steines wieder gesammelt und später der erkrankten Person als Medizin zum Trinken gereicht (FN 27). Verläuft diese Behandlung erfolgreich so sind die Angehörigen der wieder genesenen Person oder diese selbst dazu angehalten als Dank für die erfahrene Hilfe ein weißes Stück Stoff innerhalb des Pavillons in unmittelbarer Nähe des Lithophons anzubringen. Zur Zeit meines Besuchs waren noch einige derartige Tuche zu sehen; die Zeremonie scheint also noch nicht ausgestorben zu sein. Allerdings merkten Pak Zainal und Pak Sabir an, daß derartige Evokationen sehr selten geworden wären, und die von Stockflecken befallenen Tuchfetzen können als Bestätigung dieser Behauptung angesehen werden.

Eine ander Zeremonie mußte durchgeführt werden bevor meinem Wunsch nach einer Klangprobe zur Aufnahme der Steinbarren entsprochen werden konnte. Ja, eine Klangprobe wäre machbar, so teilte man mir mit. Doch vor einer solchen Handlung müßte am Fuße des größten der Steinbarren ein sasajian - eine rituelle Darbringung von Opfergaben - zelebriert werden. In diesem Falle handelte es sich um ein Rauchopfer, zu dem eine spezielle Sorte Harz (kemenyan = Benzoe) verbrannt werden mußte. Vermutlich wußte er um diesen Sachverhalt durch einen seiner früheren Besuche in Talang Anau - wie auch immer, Pak Azwardi, mein Begleiter aus Payakumbuh führte eine Portion des erforderlichen Harzes mit sich. Das sasajian konnte durchgeführt werden - und die Klangprobe anschließend auch.

Neben diesen speziell mit dem größten der Steinbarren verbundenen Konnotationen wird auch dem Ensemble als Ganzem kesaktian zugesprochen. Die Konnotationen in Bezug auf das gesamte Ensemble können in zwei Aspekte unterteilt werden:

a) einer "Warnfunktion" des Ensembles im Falle bevorstehender großer Gefahren oder Katastrophen in Bezug auf das Territorium der nagari. In diesem Falle sollen die Steinbarren des Ensembles bunyi-bunyi produzieren, d.h. ohne menschliche Beihilfe in Schwingung geraten und Klänge von sich zu geben. Derartige Ereignisse werden von den Alten des Ortes als unmißverständliche Warnungen in Bezug auf heraufziehende Gefahren gedeutet;

b) des mit der inhärenten spirituellen Kraft des Ensembles verbundenen Aspekts, daß das talempong batu im Falle eines respektlosen Umgangs Schaden oder Tod in Bezug auf menschliche Wesen verurachen kann. Demzufolge sind zumindest drei Fälle überliefert in denen Menschen - Einheimische wie auch Fremde - kurz nach einer respektlosen Annäherung an das talempong batu verstorben sein sollen. Von der ersten dieser Personen - dem ersten orang Belanda ("Niederländer"), der jemals diesen Ort besucht hat - wird berichtet, er sei verstorben kurz nachdem er auf den Steinbarren herumgeklettert war. Die zweite Person - ein kleines Kind aus dem Dorf - soll erkrankt und kurz darauf verstorben sein nachdem es auf den Steinbarren herumkletterte um einen der Stoffstreifen zum Spielen zu erhaschen. Dies soll sich vor etwa zwanzig Jahren zugetragen haben. Der letzte Fall - ein Lehrer einer Grundschule aus dem relativ nahegelegenen Ort Danguang-Danguang - soll verstorben sein kurz nachdem er die Steinbarren erkletterte um die Vorstellungen der Einwohner als Aberglauben zu demaskieren. Dies soll sich vor etwa fünfzehn Jahren zugetragen haben. Was auch immer an Wahrheitsgehalt an diesen Erzählungen sein mag - ich zog es vor, mich der lokalen Etiquette in Bezug auf das talempong batu anzupassen.

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(mk06)

Die räumliche Anordnung des talempong batu als Hinweis auf seinen möglichen ursprünglichen Kontext.

Die oben angeführten Details lassen erkennen, daß es sich bei diesem Lithophon um ein Objekt größten musik- und kulturhistorischen Interesses handeln dürfte. Ein weiteres Faktum, welches dies noch unterstreicht ist die räumliche Anordnung - oder besser gesagt Gestaltung - des Lithophons und seines unmittelbaren Lageortes. Dies ist zum Einen die Tatsache, daß sich die Klangbarren, aufgelegt auf Holzbalken, quer über einer Grube befinden. Diese etwa 2,5 Meter lange, 0,8 Meter breite und ursprünglich etwa 1,0 Meter tiefe Grube ist heute mit Backsteinmauerwerk ausgekleidet, der Boden mit sandigem Geröll bis auf etwa 0,6 Meter aufgefüllt worden. Auf meine Frage nach der offensichtlich rezenten Anlegung dieses Mauerwerks teilte mir Pak Sabir mit, daß die Ausmauerung der Grube ebenfalls während seiner Amtszeit als wali jorong im Jahre 1962 durchgeführt worden sei. Dies sei aus sicherheitstechnischen Gründen geschehen, denn zuvor sei die Grube einsturzgefährdet gewesen. Zum Anderen seien vom nordwestlichen und südöstlichen Kopfende der Grube niedrige Gänge abgegangen, und die Kinder des Dorfes hätten immer wieder diese Gänge erklettert. Später teilte man mir mit, daß die beiden Gänge außerhalb des Dorfes an oberhalb von Reisfeldern gelegenen Hängen endeten. Der nordwestliche Gang sei heute bereits eingestürzt, doch der südwestliche Gang und sein kapalo (Kopf) sei noch erhalten (FN 28).

Auf meine Bitte, diesen Gang bzw. seine Mündung einmal in Augenschein zu nehmen, reagierten die beiden alten Herren nicht allzu enthusiastisch und merkten an, daß dies schwierig sei. Der Ort liege in einem Waldstück und sei nur beschwerlich zu erreichen. Außerdem sei es kein guter Tag um zum kapalo zu gehen - sabtu (Samstag) und selasa (Dienstag) seien hierzu ungünstig. Bedauerlicherweise besuchten wir Talang Anau an einem Samstag. Doch hatten die beiden alten Herren schließlich ein Nachsehen und baten einen der jüngeren Männer des Ortes darum, uns dorthin zu führen - die Gäste waren z.T. von sehr weit her gekommen; eine Ausnahme vom adat durfte unter diesen Umständen wohl gewagt werden.

In der Tat, es wurde eine Kletterpartie. Die Mündung des Ganges befand sich etwa 500 Meter Luftlinie außerhalb des Dorfes, von tropischer Vegetation zugewuchert. Dieselbe konnte noch beseitigt werden, doch zeigte sich sehr rasch, daß an eine Begehung des Ganges ohne Spezialausrüstung und fachkundige Anleitung nicht zu denken war. Die gesamte Höhle bestand aus einem weichen Kalksandgestein, der Boden stand zum großen Teil unter Wasser - und außerdem werden diese Gefilde von zahlreichen weniger gemütlichen Zeitgenossen aus Fauna und Flora bewohnt. Ich kann daher nur eine Beschreibung des kapalo und dem von dort aus einsehbaren Teil des Ganges (ca. 12-15 Meter) liefern. Die Mündung des Ganges ist etwa 3-4 Meter hoch und 4-5 Meter breit; der Gang verjüngte sich aber sehr bald etwas. Direkte Anzeichen menschlichen Wirkens waren für mich nicht zu erkennen, doch waren die Wände relativ gerade, was als Beleg für eine solche Einwirkung angeführt werden könnte. Die Mündung des Ganges liegt offensichtlich auf einer niedrigeren Höhe als das Dorf. Ich würde die Differenz grob auf um die einhundert Meter schätzen.

Auf meine Frage woher man denn wüßte, daß dieser (wie auch der andere heute zugestürzte) Gang mit der Grube unter dem talempong batu in Verbindung gestanden hätte antwortete Pak Zainal, daß man dies früher durch das Einfüllen von größeren Mengen Wasser in die Grube überprüft habe. Dieses Wasser habe sich am Boden der Gänge in der Nähe der kapalo wieder gesammelt - ein Beleg, der sicherlich einer weiteren Überprüfung bedarf (FN 29). Wenn wir jedoch einmal annehmen, daß dem so gewesen wäre, so kann aus der mit dem Lithophon verbundenen "Architektur" einiges über dessen mögliche ursprüngliche Funktion und seinen möglichen ursprünglichen Kontext gefolgert werden. Demnach könnten die beiden Gänge als ein "Teil" dieses "Instruments", als eine Erweiterung des Klangraumes der Steinbarren betrachtet werden. Der Klang wurde in alten Zeiten möglicherweise auf die unterhalb des Dorfes befindlichen Felder (heute Naßreisfelder) getragen. Es erscheint mir mehr als unwahrscheinlich, daß dies lediglich zu Signalzwecken geschehen sein mag. In einem solchen Falle hätte ein Steinbarren - auch simpelster Stimmung - ausgereicht. Doch in Talang Anau finden wir sechs erstaunlich diffizil gestimmte solcher Steinbarren - entschieden zuviel Aufwand nur um akustische Signale zu übermitteln. Es erscheint daher sehr wahrscheinlich, daß das Lithophon einem elaborierteren Kontext entstammt haben mag. Einem Kontext, in dem die Evokation eines oder mehrerer "Wesen" eine Rolle gespielt haben könnte. Insbesondere legt die mögliche Verbindung mit agrarischen Nutzflächen nahe, daß es sich um die Kommunikation mit Fruchtbarkeitsgottheiten gehandelt haben könnte.

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(mk07)

Eine weitere Überraschung: Die unmittelbare Umgebung des Lithophons.

In der gesamten Lokalität finden sich unmittelbar um das talempong batu herum weitere interessante Spuren früher menschlicher Kultur, die ebenfalls nützlich zur Beleuchtung der Frage nach dem möglichen ursprünglichen Kontext des Lithophons sein können. Dies sind zum einen weitere megalithische Artefakte in unmittelbarer Nähe des Lithophons wie auch im gesamten Gebiet nördlich und nordwestlich von Suliki bis ins Gebiet der Nagari Talang Anau. Einige dieser Steinobjekte wurden anscheinend in jüngerer Zeit an diesem Ort zusammengetragen und um den Pavillon des Lithophons herum aufgebaut: Einige Obelisken und eine flache Steinplatte ähnlich denen, wie sie aus anderen frühen inselsüdostasiatischen Kulturen als Sitzplätze für Stammesfürsten und Herrscher überliefert worden sind (FN 30). Andere dagegen dürften sich ursprünglich an diesem Platz befunden zu haben. Hier ist - neben weiteren Obelisken - insbesondere eine Stele in angedeuteter Vogelkopf- oder möglicherweise Pferdekopfform, die etwa 30 Meter unterhalb des Lageortes des Lithophons linker Hand der Dorfstraße sichbar ist zu nennen. Stelen dieser Art finden sich - allerdings in wesentlich verfeinerter Form - z.B. an den Gräbern der Minangkabau-Könige bei Batusangkar. Das Wirken des ältesten der dort beerdigten Könige Adityawarman fällt in die Zeit des 14.Jhrts. (FN 31).

Stein-Stelen dieser Art finden sich ebenso in anderen frühen Kulturen des inselsüdostasiatischen Raumes, so z.B. auf der ostindonesischen Insel Sumba, einer exponierten Kultur megalithischer Artefakte (FN 32). Als ein weiteres erwähnenswertes Detail der Lokalität muß ein etwa einhundert Meter oberhalb des Pavillons auf dessen Seite der Dorfstraße befindlicher, 35-40 Meter hoher alter beringin-Baum (FN 33) genannt werden. Um diesen Baum herum finden sich - von Buschwerk verdeckt - wiederum einige Megalithen. Neben dem talempong batu ist es ebenso dieser beringin-Baum, dem seitens der Einheimischen starke spirituelle Kräfte zugesprochen werden (FN 34). Dem beringin in Talang Anau wird insbesondere die eigenartige Qualität zugesprochen im Falle bevorstehender Todesfälle innerhalb der Dorfgemeinschaft verstärkt Blätter zu verlieren bzw. keine neuen auszubilden (wörtlich: "daun tidak berkembang lagi"). Dieses Detail nun weist allerdings auf eine Weltenbaum-Symbolik hin wie sie in dieser konkreten Art doch eher selten anzutreffen ist.

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(mk08)

Heutige in der Gemeinschaft der Nagari Talang Anau gepflegte Musik- und Tanzkünste.

Nachdem wie bereits dargelegt im Bereich des stillschweigend praktisch wie explizit oral oder theoretisch Tradierten kaum mehr etwas an Überlieferung zum möglichen ursprünglichen Kontext des talempong batu mitgeteilt werden kann, erscheint es mehr als unwahrscheinlich, daß sich irgend etwas eines möglichen Repertoires dieses Ensembles erhalten haben sollte. Leider erfüllt sich diese Prognose. Keinerlei musikalisches Material - einschließlich akustischer Signale - ist in unsere Zeit überliefert worden. Das Instrument wird zu keinerlei praktischen Zwecken mehr verwendet. Mit einer Ausnahme: Während des Besuchs der hohen Regierungsbeamten im Jahre 1985 oder 1987 sollen drei lokale Musiker - Amri, Win und Raini - zu Ehren der Gäste einige neuere Melodien aus dem Repertoire der lagu Minang (Minangkabau-Lieder) intoniert haben. Interessant ist dabei, daß die drei Musiker anscheinend keine grundsätzlichen Schwierigkeiten in der Umsetzung der verschiedenen Tonhöhen der relativ rezenten Volkslieder auf dem Lithophon hatten. Demnach scheinen die auf dem Ensemble realisierten Tonhöhen jedenfalls nicht völlig der aktuellen Tonhöhenperzeption der Musiker widerstrebt zu haben.

Die im Bereich der traditionellen Musik der Minangkabau realisierten Formen musikalischer Skalen und Modi sind bislang erstaunlicherweise noch von keinem westlichen Musikologen explizit untersucht worden - wie überhaupt der gesamte Bereich der Musikkünste dieses Volkes erst allmählich ins Blickfeld unseres Faches gelangt. Ein Grund hierfür mögen die durch das weitgehende Fehlen emischer Spezialbegriffe verursachten Schwierigkeiten bei der Erstellung einer relevanten Terminologie sein. B.A. Adam (FN 35), einer der Pioniere West-Sumatras auf diesem Gebiet führt aus, daß zwischen zwei Kulturräumen in West-Sumatra in Bezug auf musikalische Fragen unterschieden werden sollte: Dem Gebirgs-Kernland ("daerah darat di pegunungan") und dem Gebiet der westlichen Küste ("daerah pesisir disekitar pantai sebelah barat"). Für das Gebirgs-Kernland (FN 36) führt er aus, daß dort im allgemeinen Pentatoniken zu hören sind, doch seien Lieder in denen sechs verschiedene Tonhöhen hervorgehoben werden ebenfall hier und dort in einigen Gebirgsgebieten anzutreffen. Dagegen nennt er für die Gegend der westlichen Küste (FN 37) vor allem Heptatoniken im Bereich der verwendeten Skalen. Allerdings merkt er auch an, daß diese Fünf-, Sechs- oder Siebentönigkeit der Skalen keineswegs einheitlich realisiert wird. Dies kann ich aus eigenen Erfahrungen bestätigen und möchte hinzufügen, daß wir es in der traditionellen Musik der Minangkabau mit einer ausgeprägten Genre-, Regional- und Epochenspezifik im Bereich der Skalenrealisation zu tun haben.

Bemerkenswert erscheint mir weiterhin, daß die genannten Musiker sich bei oben genanntem Anlaß in einer "2 plus 1"-Formation um das Instrument herum positionierten: Zwei der Spieler saßen auf der einen Seite und bedienten jeweils zwei der äußeren Klangbarren, der dritte Spieler saß ihnen gegenüber und bediente die beiden mittleren Klangbarren. Bedenkt man die Ausmaße des Instruments mag diese Anordnung logisch oder intuitiv naheliegend sein. Doch darüber hinaus erinnert sie an gewisse Praktiken des Xylophon-Spielens in anderen, insbesondere afrikanischen Kulturen (FN 38). Die drei genannten Musiker bedienen sich jedoch ansonsten der üblichen Instrumente der Minangkabau-Tradition wie dem Gongspiel talempong pacik, dem Streichinstrument rabab und der Flöte saluang. Ungewöhnliche Musik- oder Tanztraditionen aus dem Gebiet von Talang Anau sind nicht zu berichten. Die drei Musiker treten - teilweise noch durch Musiker aus Nachbargemeinden verstärkt - bei den üblichen upacara adat (traditionellen Festlichkeiten) wie Hochzeiten und Beschneidungszeremonien auf. Anzumerken wäre noch, daß die saluang wohl ohne die Rezitation von dendang (einem Genre der Vokalmusik der Minangkabau) aufgeführt wird. Dies ist heute zumindest recht ungewöhnlich und läßt möglicherweise auf ein noch intaktes Muster magischer Konnotationen in Bezug auf dieses Instrument schließen. Derartige Konnotationen verbanden und verbinden die Minangkabau mit den meißten Blasinstrumenten (insbesondere der bansi); ihr solistisches Spiel galt und gilt in manchen Augen teilweise als etwas anrüchig oder zumindest wenig sozial. Wer so etwas praktiziert(e) setzt(e) sich unter Umständen dem Verdacht aus, magische Praktiken auszuüben.

Traditionelle Tanz- und Bewegungskünste, die in der Nagari Talang Anau praktiziert werden (oder bis in die jüngere Zeit hinein praktiziert wurden) sind der tari piriang (Teller-Tanz) und das silek (eine kunstvolle traditionelle Art der Selbstverteidigung, eine der Wurzeln der heutigen indonesischen Kampfkunst Pencak Silat). Es wurde allerdings angegeben, daß das silek seit einigen Jahren ausgestorben sei in Talang Anau. Diese Darlegung erscheint mir fraglich. Die Bewegungs- und Kampfkunst silek wird insbesondere in ländlichen Regionen West-Sumatras nach wie vor gerne vor den Augen Uneingeweihter und Fremder geheimgehalten um ihr einen gewissen Schutz vor Mißbrauch zu geben. Auch ist der tari piriang ohne ein fundiertes Können im silek kaum ausführbar; das Vorkommen des tari piriang bedingt in gewisser Weise das Vorkommen des silek. Wie dem auch sei, es wurde angemerkt, daß das Territorium der Nagari Talang Anau früher zum Verbreitungsgebiet des silek Lintau, einem der bekanntesten der silek-Stile West-Sumatras, gehört habe (FN 39).

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(mk09)

Versuch einer kulturellen und zeitlichen Zuordnung des Lithophons von Talang Anau.

Es muß leider festgestellt werden, daß die meißten Informationen bezüglich des Ursprungs, des Kontextes und der zeitlichen Begrenzung dieses Steinklangspiels aus den materiellen Gegebenheiten vor Ort abgeleitet werden müssen und insofern zunächst weitgehend hypothetischen Charakter haben. Die Beziehung der lokalen Anwohnerschaft auf das talempong batu hin ist deutlich von Charakteristika des Ahnenkultes und des Dynamismus geprägt. Eine an sich überaus interessante Angelegenheit, die uns über einen möglichen ursprünglichen kulturellen Kontext des Objektes allerdings nur vage Indizien liefert.

Immerhin verweist derartiges auf eine Beziehung zur vor-islamischen Kultur der Minangkabau (FN 40). Ferner scheint zumindest die zeitliche Bestimmung des Verlorengehens dieser vor-islamischen Kultur unter Einbeziehung der verfügbaren historischen Daten zur weiteren Umgebung des Fundortes möglich. Demnach kann davon ausgegangen werden, daß mindestens seit dem Beginn des 19. Jhrts. keine stillschweigend praktizierte Tradierung von funktionalen Kontexten des Lithophons mehr stattgefunden hat. Die in dieser Zeit in nächster Nähe bei Bonjol tobenden Kämpfe zwischen islamischen Reformern einerseits und niederländischen Kolonialtruppen sowie Traditionalisten andererseits dürften um der Sicherheit der lokalen Bevölkerung wegen spätestens zu einem Ableben non-islamischer Traditionen geführt haben. Für den Bereich der oralen (expliziten) Tradierungen ist dies um so mehr anzunehmen. Auch ist das Objekt zumindest seit etwa dieser Zeit den Bewohnern der Gegend an seinem heutigen Lageort bekannt. Einzelne Details der unmittelbaren Umgebung des Lithophons wie das Vorhandensein eines gewaltigen beringin-Baumes - diese Bäume können mehrere hundert Jahre alt werden - können als Beleg dafür angesehen werden, daß eine relativ rezente Schaffung des Lithophons nicht angenommen werden kann.

Es folgt bedauerlicherweise ein gewaltiges Loch in der Darlegung historischer Bezugspunkte zur zeitlichen Zuordnung des Lithophons und seines Kontextes. Als der nächste dieser Bezugspunkte ist der Ruinenkomplex von Muara Takus, einem der spirituellen buddhistischen Zentren des Großreiches von Srivijaya (7.-12. Jhrt.) zu berücksichtigen. Es erscheint zwar aufgrund der topographischen Lage der Nagari Talang Anau zwar nicht unmöglich, aber dennoch wenig wahrscheinlich, daß in nächster Nachbarschaft zu einem kulturellen Zentrum eines Seereiches mit Einfluß auf weite Gebiete der heutigen Staaten Indonesien und Malaysia und darüber hinaus eine megalithische Kultur im größeren Umfang praktiziert worden sein könnte. Zumindest legen die Ausführungen Schnitgers nahe, daß das Gebirgsgebiet von Suliki den frühen Bewohnern von Muara Takus nicht unbekannt gewesen sein dürfte.

Das Ende der Jungsteinzeit wird anhand kultureller Details wie dem Erblühen des Gebrauchs von Metallartefakten für den inselsüdostasiatischen Kulturraum zwar keineswegs einheitlich angegeben, doch dürfte dies spätestens in die ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung fallen. Unter Berücksichtigung einer in topographisch sehr abgelegenen Gebirgsgebieten - wie in Talang Anau der Fall - möglicherweise extremen Nachzeitigkeit kultureller Entwicklungen kann die Hypothese geäußert werden, daß zumindest seit dem Erblühen des Srivijaya-Reiches in der Nachbarschaft des Gebietes von Talang Anau eine dort etwa noch aktive megalithische Kultur zum Erlöschen gekommen sein dürfte. Ein höheres Alter des Lithophons ist möglich, jedoch kann hierzu aufgrund der vorliegenden Daten zur Zeit nicht viel gesagt werden. Anzumerken wäre, daß die Erscheinung aller in Talang Anau vorliegenden Megalithen einen überaus archaischen Eindruck macht. Verzierungen oder auch nur genauere Skulpturierungen am Material sind nicht vorhanden. Die Erklärung für die einfache Gestaltung der Megalithen kann sowohl ein eher einfacher, "rustikaler" Kontext sein wie auch die Abkunft aus einer sehr frühen menschlichen Gemeinschaft. Diesen Annahmen stehen allerdings die aus den Frequenzmessungen erzielten Ergebnisse entgegen, die einen äußerst sensiblen Umgang mit dem Lithophon während seines Stimmprozesses annehmen lassen.

Andererseits fällt bei der gesamten Anlage der Lokalität in Talang Anau die Komplexität der Anordnung der Megalithen - und erst recht der weiteren "Architektur" des Lithophons - ins Auge. Ist es möglich, daß derartiges sich in dieser Form über sicherlich Jahrhunderte, ja möglicherweise Jahrtausende erhalten kann ? Diese Frage entzieht sich meiner Kompetenz; sie kann nur von Ur- und Frühgeschichtlern erörtert werden. Sollten sich die in Talang Anau anscheinend vorhandenen Zusammenhänge als zutreffend erweisen, so wäre der Menschheit m.E. allerdings ein unglaubliches Zeugnis ihrer Geschichte anhand gegeben: Ein Lithophon in einem zumindest organologisch guterhaltenen, möglicherweise früh- oder gar prähistorischen Kontext.

Bellwood (FN 41) datiert das Ende einer locker definierten "Early Neolithic phase" im insular-südostasiatischen Raum in die Zeit um 1500 v.Chr., als "eve of bronze working" gibt er den weiten Zeitraum zwischen ca. 2000 und 500 v.Chr. für diesen Kulturraum an. Weiterhin nennt er - als topographisch wohl nächste prähistorische Fundstätte im Raum Sumatra - Zeugnisse menschlicher Kultur im Umfeld des "Lake Padang" (FN 42) aus der Zeit ca. 2000 v.Chr.. Weitere Zeugnisse im gleichen Gebiet betreffen Pflanzungen der Arenga-Palme um die Zeit der Zeitenwende. Es ist jedoch zu bedenken, daß eine auch nur ungefähre Zuordnung von Megalithen zu einer Zeitepoche äußerst schwierig ist und einer sorgfältigen Untersuchung ihres direkten Lageortes bedarf. Als Anhaltspunkte zu einer zeitlichen Zuordnung des Lithophons taugen Bellwoods Angaben daher im vorliegenden Falle zunächst nicht. Immerhin machen diese Angaben aber deutlich, um welche Zeiträume es sich handeln könnte.

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(mk10)

Summary

The talempong batu of Talang Anau can be regarded as an artefact of high interest and importance for the West-Sumatranean, Indonesian and South-East-Asian musical history. Kind and manner of the embarrassingly good balanced tuning (FN 43) suggest a high developed knowledge on minerals and tone-perception by the builders. The manner of the spacial patterning of the whole of the ensemble suggests a use in an elaborated cultural context. This context particularly may once have included functions of invocating fertility-spirits, but other elaborated functions can be imagined as well. Hence a sole use of the lithophone as a signal-instrument seems not to be probable because of the developed organology of the talempong batu, though the ancient context may have included functions like this as well. No kind of musical repertoire connected with the intrument has been passed to our time, but because of the probable high age this hardly could be expected.

No oral (explicit) or practical non-verbal traditions on the original cultural context of the instrument and its location have been handed down to our time. The instrument and place almost stand in high veneration by the local inhabitants, but the veneration today is focussed on the instrument itself for bearing kesaktian or inherent mythical spiritual power, not for its contextual or musical function. Nevertheless some assumptions on the cultural context can be drawn from the patterning of other objects in the surrounding. These suppose the possibility that all of the place may have had somewhat more importance in ancient times, but an examination through specialists of Pre- and Early Cultural History is neccesary before any thesis may be prooved.

The loss of the cultural context originally intended by the founders of the lithophone can be hypothized to have taken place latest during the years of the Padri-wars (early 19th century), but most probably a long time before this during the era of the kingdom of Srivijaya (7th-12th century). An even higher age of the object seems probable and suggestable. Connected with this thought the autor especially wishes to remind the reader on the works of Dubois, Ijzerman, Westenenk, Schnitger and others done in this area in foremore times.